Vergleich oder Prozess? – Wann sich eine Klage gegen die Berufsunfähigkeitsversicherung lohnt
Als Anwalt im Versicherungsrecht erlebe ich täglich Menschen, die nach jahrelanger Beitragszahlung von ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung im Stich gelassen werden. So wie bei meinem Mandanten Michael (Name geändert), einem 47-jährigen Tischlermeister. Nach einem Bandscheibenvorfall konnte er seinen Beruf nicht mehr ausüben, doch seine BU-Versicherung lehnte die Leistung ab. Die Begründung: Seine Beschwerden seien nicht schwerwiegend genug, er könne noch zu 60% arbeiten.
Michael war verzweifelt und fragte mich: „Soll ich wirklich gegen einen so großen Versicherer vor Gericht ziehen? Oder sollte ich einen Vergleich anstreben?“ Diese Frage stellen sich viele Betroffene nach einer Ablehnung durch ihre BU-Versicherung. Die Entscheidung zwischen Vergleich oder Klage ist komplex und von vielen Faktoren abhängig.
In diesem Artikel erfahren Sie, wann sich eine Klage gegen die Berufsunfähigkeitsversicherung tatsächlich lohnt und in welchen Fällen ein Vergleich die bessere Option sein kann. Ich teile meine Erfahrungen aus der Praxis und gebe Ihnen konkrete Entscheidungshilfen an die Hand.
Unsicher, ob Sie klagen sollten? Wir analysieren Ihren Fall kostenlos und geben Ihnen eine fundierte Einschätzung.
Inhaltsverzeichnis
- Die typische Ausgangssituation: Ablehnung trotz Berufsunfähigkeit
- Wie stehen Ihre Erfolgsaussichten vor Gericht?
- Die Kosten einer Klage gegen die BU-Versicherung
- Die Vorteile eines Vergleichs mit der Versicherung
- Die Nachteile eines Vergleichs
- Die Vorteile eines Gerichtsprozesses
- Die Nachteile eines Prozesses
- Entscheidende Faktoren für die Wahl zwischen Vergleich und Prozess
- Fallbeispiele aus der Praxis: Wann hat sich eine Klage gelohnt?
- Die richtige Vorbereitung – egal für welchen Weg Sie sich entscheiden
- Fazit: Der beste Weg für Ihren individuellen Fall
Die typische Ausgangssituation: Ablehnung trotz Berufsunfähigkeit
Bevor wir die Frage beantworten, wann sich eine Klage gegen die BU-Versicherung lohnt, schauen wir uns die typische Ausgangssituation an. In den meisten Fällen sieht es so aus:
Sie haben über Jahre hinweg Beiträge für Ihre Berufsunfähigkeitsversicherung gezahlt, um im Fall der Fälle abgesichert zu sein. Nun sind Sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, Ihren Beruf auszuüben oder nur noch eingeschränkt. Ihre behandelnden Ärzte bestätigen Ihre Berufsunfähigkeit. Doch dann kommt die Überraschung: Die Versicherung lehnt Ihren Leistungsantrag ab.
Die häufigsten Ablehnungsgründe sind:
- Die Versicherung bestreitet den Grad Ihrer Berufsunfähigkeit (Sie seien weniger als 50% berufsunfähig)
- Der Versicherer behauptet, Sie hätten vorvertragliche Anzeigepflichten verletzt
- Die Versicherung bestreitet einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Ihren Beschwerden und der Berufsunfähigkeit
- Der Versicherer verweist Sie auf einen Berufswechsel oder eine abstrakte Verweisung
Rechtlicher Hintergrund
Nach § 173 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) liegt Berufsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person ihren zuletzt ausgeübten Beruf infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls nicht mehr ausüben kann. Die genaue Definition und der erforderliche Grad der Berufsunfähigkeit (meist 50%) sind jedoch in den jeweiligen Versicherungsbedingungen festgelegt.
Weitere Informationen zur gesetzlichen Grundlage finden Sie auf der Website des Bundesministeriums der Justiz.
Nach der Ablehnung stehen Sie vor der Entscheidung: Akzeptieren Sie die Ablehnung? Versuchen Sie, einen Vergleich zu erzielen? Oder ziehen Sie vor Gericht? Im Fall meines Mandanten Michael entschieden wir uns nach sorgfältiger Prüfung für eine Klage – mit Erfolg. Doch diese Entscheidung muss für jeden Fall individuell getroffen werden.
Wie stehen Ihre Erfolgsaussichten vor Gericht?
Bevor Sie entscheiden, ob sich eine Klage gegen die BU-Versicherung lohnt, müssen die Erfolgsaussichten realistisch eingeschätzt werden. Nach meiner Erfahrung hängen diese von mehreren Faktoren ab:
1. Stärke der medizinischen Dokumentation
Entscheidend ist die Qualität Ihrer medizinischen Unterlagen. Liegen aussagekräftige Atteste und Befunde vor, die Ihre Berufsunfähigkeit belegen? Stimmen die Diagnosen Ihrer behandelnden Ärzte mit Ihren Beschwerden überein? Je besser Ihre medizinische Dokumentation, desto höher die Erfolgsaussichten.
2. Eindeutigkeit der Berufsunfähigkeit
Die Erfolgsaussichten steigen, wenn Ihre Berufsunfähigkeit klar erkennbar ist. Bei einer Querschnittslähmung ist die Berufsunfähigkeit eines Dachdeckers offensichtlich. Bei psychischen Erkrankungen oder Schmerzsyndromen kann die Beweisführung schwieriger sein.
3. Qualität der Versicherungsbedingungen
Die genauen Versicherungsbedingungen spielen eine wichtige Rolle. Enthält Ihr Vertrag beispielsweise eine abstrakte Verweisung (die Möglichkeit, Sie auf einen anderen Beruf zu verweisen) oder nicht? Je „versicherungsnehmerfreundlicher“ die Bedingungen, desto besser Ihre Chancen.
Praxis-Tipp zur Einschätzung der Erfolgsaussichten
Lassen Sie Ihre Erfolgsaussichten unbedingt von einem spezialisierten Anwalt im Versicherungsrecht einschätzen. Ein erfahrener Anwalt kann anhand Ihrer Unterlagen, der Ablehnungsgründe der Versicherung und seiner Erfahrung mit ähnlichen Fällen eine realistische Prognose abgeben. Viele Kanzleien bieten eine kostenlose Ersteinschätzung an.
4. Art des Ablehnungsgrundes
Je nach Ablehnungsgrund variieren die Erfolgsaussichten:
- Bestreiten des BU-Grads: Hier sind die Erfolgsaussichten oft gut, wenn Ihre Ärzte Ihre Einschränkungen klar dokumentiert haben.
- Anzeigepflichtverletzung: Erfolgsaussichten hängen davon ab, ob tatsächlich relevante Gesundheitsinformationen verschwiegen wurden und ob die Fristen zur Geltendmachung eingehalten wurden.
- Abstrakte Verweisung: Erfolgsaussichten hängen von den Versicherungsbedingungen und Ihrer Ausbildung/Qualifikation ab.
Nach einer Studie der Verbraucherzentralen sind Klagen gegen BU-Versicherungen in etwa 60-70% der Fälle ganz oder teilweise erfolgreich. Diese Zahlen sollten allerdings mit Vorsicht betrachtet werden, da sie nur diejenigen Fälle berücksichtigen, die tatsächlich vor Gericht gehen – also solche, bei denen Anwälte bereits eine positive Einschätzung gegeben haben.
Die Kosten einer Klage gegen die BU-Versicherung
Ein wichtiger Aspekt bei der Entscheidung, ob sich eine Klage lohnt, sind die damit verbundenen Kosten. Diese setzen sich zusammen aus:
- Gerichtskosten
- Anwaltskosten (eigener Anwalt)
- Gegnerische Anwaltskosten (bei Prozessverlust)
- Kosten für Sachverständige/Gutachter
Die Höhe der Kosten richtet sich nach dem Streitwert – also dem Wert, um den gestritten wird. Bei BU-Versicherungen ist dies typischerweise die Summe der zu erwartenden BU-Renten bis zum Ablauf der Versicherung. Bei einer monatlichen BU-Rente von 2.000 Euro und einer Laufzeit von 20 Jahren ergibt sich beispielsweise ein Streitwert von etwa 480.000 Euro.
Kostenrisiko absichern
Bei hohen Streitwerten können die Prozesskosten schnell in die Tausende gehen. Es gibt jedoch mehrere Möglichkeiten, dieses Kostenrisiko zu minimieren:
- Rechtsschutzversicherung (prüfen Sie, ob BU-Streitigkeiten abgedeckt sind)
- Prozesskostenhilfe (bei geringem Einkommen und Vermögen)
- Prozessfinanzierung durch spezialisierte Anbieter
- Erfolgshonorarvereinbarungen mit Anwälten (seit 2008 unter bestimmten Voraussetzungen möglich)
Bei meinem Mandanten Michael bestand eine Rechtsschutzversicherung, die die Kosten des Prozesses übernahm. Dies erleichterte die Entscheidung für eine Klage erheblich, da das finanzielle Risiko minimiert war.
Wichtig zu wissen: Im Falle eines Prozessgewinns müssen Sie in der Regel keine Kosten tragen, da diese dann von der Versicherung übernommen werden müssen. Bei einem teilweisen Gewinn werden die Kosten entsprechend aufgeteilt.
Die Vorteile eines Vergleichs mit der Versicherung
Ein Vergleich mit der BU-Versicherung kann in bestimmten Situationen die bessere Alternative zu einem langwierigen Prozess sein. Diese Vorteile bietet ein außergerichtlicher oder gerichtlicher Vergleich:
1. Schnellere Lösung
Ein Vergleich kann deutlich schneller zu einer Lösung führen als ein Gerichtsprozess, der sich über Jahre hinziehen kann. Bei finanziellen Engpässen aufgrund der Berufsunfähigkeit kann dies ein entscheidender Vorteil sein.
2. Geringeres Prozessrisiko
Mit einem Vergleich eliminieren Sie das Risiko, den Prozess vollständig zu verlieren. Sie erhalten zumindest einen Teil der Leistungen sicher, statt alles auf eine gerichtliche Entscheidung zu setzen.
3. Planungssicherheit
Ein Vergleich bietet Ihnen Planungssicherheit für Ihre finanzielle Situation. Sie wissen genau, welche Leistungen Sie erhalten, während das Ergebnis eines Prozesses unsicher ist.
4. Weniger emotionale Belastung
Ein langwieriger Rechtsstreit kann psychisch sehr belastend sein, besonders wenn Sie bereits gesundheitlich angeschlagen sind. Ein Vergleich beendet die Auseinandersetzung und kann zur emotionalen Entlastung beitragen.
Typische Vergleichsmöglichkeiten
Vergleiche mit BU-Versicherungen können unterschiedlich ausgestaltet sein:
- Zahlung einer reduzierten monatlichen BU-Rente
- Einmalzahlung als Kapitalabfindung
- Kombination aus reduzierter Rente und einmaliger Kapitalzahlung
- Zeitlich begrenzte Rentenzahlung mit anschließender Neubewertung
Ein Beispiel aus meiner Praxis: Eine Mandantin mit chronischem Erschöpfungssyndrom hatte einen schwer zu beweisenden Fall. Die Versicherung bot einen Vergleich mit 70% der versicherten BU-Rente an. Angesichts der Beweisproblematik und der langen voraussichtlichen Prozessdauer entschied sie sich für diesen Vergleich – und konnte so schnell ihre finanzielle Situation stabilisieren.
Die Nachteile eines Vergleichs
Trotz der genannten Vorteile hat ein Vergleich mit der BU-Versicherung auch potenzielle Nachteile, die Sie bei Ihrer Entscheidung berücksichtigen sollten:
1. Geringere Leistungen
Ein Vergleich bedeutet fast immer, dass Sie weniger erhalten als die vertraglich vereinbarten Leistungen. Sie verzichten auf einen Teil Ihrer Ansprüche.
2. Möglicher Verlust zukünftiger Ansprüche
Bei einer Kapitalabfindung verzichten Sie auf zukünftige Leistungen. Sollte sich Ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtern, haben Sie keinen Anspruch auf höhere Leistungen.
3. Steuerliche Nachteile
Eine Einmalzahlung kann steuerlich ungünstiger sein als laufende BU-Rentenzahlungen. Laufende BU-Renten unterliegen in der Regel nur mit dem Ertragsanteil der Besteuerung, während eine große Einmalzahlung zu einer höheren Steuerlast führen kann.
4. Gefühl der Ungerechtigkeit
Manche Versicherte empfinden es als ungerecht, auf Teile ihrer rechtmäßigen Ansprüche verzichten zu müssen. Dieses Gefühl kann auch nach einem Vergleich bestehen bleiben.
Wichtig bei Vergleichsverhandlungen
Lassen Sie sich bei Vergleichsverhandlungen unbedingt anwaltlich beraten. Versicherungen haben erfahrene Juristen auf ihrer Seite und kennen alle Tricks. Ein spezialisierter Anwalt kann dafür sorgen, dass der Vergleich fair ausgestaltet wird und keine versteckten Nachteile enthält. Besonders wichtig: Die genaue Formulierung des Vergleichs und die Regelung zum Verjehren bei einer möglichen weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustands.
Die Vorteile eines Gerichtsprozesses
Ein Gerichtsprozess gegen die BU-Versicherung bietet gegenüber einem Vergleich bestimmte Vorteile, die für viele Betroffene ausschlaggebend sind:
1. Chance auf volle Leistung
Im Falle eines Prozessgewinns erhalten Sie die vollen vertraglichen Leistungen – sowohl rückwirkend als auch für die Zukunft. Dies kann bei langer Laufzeit einen erheblichen finanziellen Unterschied ausmachen.
2. Objektivere Beurteilung
Das Gericht bestellt in der Regel einen neutralen Sachverständigen, der Ihren Gesundheitszustand und Ihre Berufsunfähigkeit unabhängig beurteilt. Dies führt oft zu einer objektiveren Einschätzung als durch den Versicherungsgutachter.
3. Präzedenzfall und Rechtsdurchsetzung
Mit einer erfolgreichen Klage setzen Sie Ihre Rechte vollständig durch und schaffen möglicherweise einen Präzedenzfall, der auch anderen Versicherten helfen kann. Sie leisten damit einen Beitrag zur Durchsetzung von Versichertenrechten.
4. Verbesserte Vergleichsposition
Selbst wenn Sie während des Prozesses noch einen Vergleich schließen möchten, ist Ihre Verhandlungsposition meist besser, wenn der Prozess bereits läuft. Insbesondere nach einem positiven Sachverständigengutachten sind Versicherungen oft zu deutlich besseren Vergleichen bereit.
Praxis-Tipp zum gerichtlichen Sachverständigen
Der vom Gericht bestellte Sachverständige spielt eine zentrale Rolle im Prozess. Ihr Anwalt sollte daher im Vorfeld genau prüfen, welcher Sachverständige bestellt werden soll und ob dieser über die notwendige Fachkompetenz für Ihre spezifische Erkrankung verfügt. Bei Zweifeln kann Ihr Anwalt Einwände gegen den vorgeschlagenen Sachverständigen erheben und einen anderen Sachverständigen vorschlagen.
Im Fall meines eingangs erwähnten Mandanten Michael war der gerichtliche Sachverständige ein Schlüssel zum Erfolg. Der Orthopäde beurteilte seine Bandscheibenvorfälle und deren Auswirkungen auf seinen Beruf als Tischler völlig anders als der Versicherungsgutachter. Das gerichtliche Gutachten attestierte eine Berufsunfähigkeit von 80% – die Versicherung musste daraufhin leisten.
Die Nachteile eines Prozesses
Trotz der möglichen Vorteile birgt ein Gerichtsprozess gegen die BU-Versicherung auch erhebliche Nachteile, die Sie bedenken sollten:
1. Lange Verfahrensdauer
BU-Prozesse dauern oft mehrere Jahre – besonders wenn mehrere Instanzen durchlaufen werden. In dieser Zeit müssen Sie ohne die BU-Leistungen auskommen, was finanziell sehr belastend sein kann.
2. Prozessrisiko
Es besteht immer das Risiko, den Prozess zu verlieren. In diesem Fall erhalten Sie keine Leistungen und müssen zudem die gesamten Prozesskosten tragen – es sei denn, Sie haben eine Rechtsschutzversicherung.
3. Psychische Belastung
Ein langwieriger Rechtsstreit kann psychisch sehr belastend sein. Die ständige Auseinandersetzung mit der Erkrankung, die Ungewissheit über den Ausgang und die finanzielle Unsicherheit belasten viele Betroffene zusätzlich zu ihrer gesundheitlichen Situation.
4. Folgeprobleme bei Ablehnungsgründen
Bei bestimmten Ablehnungsgründen, wie z.B. einer behaupteten Anzeigepflichtverletzung, kann ein Prozessverlust weitreichende Folgen haben. Im schlimmsten Fall kann der Versicherungsvertrag rückabgewickelt werden, was zum Verlust des Versicherungsschutzes führt.
Instanzenzug bei BU-Prozessen
BU-Prozesse beginnen in der Regel vor dem Landgericht, unabhängig vom Streitwert. Gegen das Urteil des Landgerichts kann Berufung zum Oberlandesgericht eingelegt werden. In manchen Fällen ist auch eine Revision zum Bundesgerichtshof möglich. Jede weitere Instanz verlängert das Verfahren erheblich und erhöht die Kosten. Erfahrungsgemäß dauert ein Verfahren vor dem Landgericht etwa 1-2 Jahre, ein Berufungsverfahren nochmals 1-2 Jahre.
Eine Mandantin entschied sich trotz guter Erfolgsaussichten gegen einen Prozess, weil sie bereits gesundheitlich stark angeschlagen war und die zusätzliche Belastung eines jahrelangen Rechtsstreits vermeiden wollte. Wir konnten für sie einen akzeptablen Vergleich aushandeln, der ihr finanzielle Sicherheit gab, ohne sie weiter zu belasten.
Entscheidende Faktoren für die Wahl zwischen Vergleich und Prozess
Nach der Darstellung der Vor- und Nachteile stellt sich die Frage: Wann lohnt sich eine Klage gegen die BU-Versicherung tatsächlich, und wann ist ein Vergleich die bessere Option? Folgende Faktoren sollten in Ihre Entscheidung einfließen:
1. Klarheit der medizinischen Situation
Tendenz zum Prozess: Wenn Ihre Berufsunfähigkeit medizinisch gut dokumentiert ist und objektiv nachweisbar (z.B. durch bildgebende Verfahren, Laborbefunde).
Tendenz zum Vergleich: Bei schwer objektivierbaren Beschwerden (z.B. chronischen Schmerzen ohne eindeutigen Befund, bestimmten psychischen Erkrankungen) oder widersprüchlichen medizinischen Gutachten.
2. Finanzielle Situation
Tendenz zum Prozess: Wenn Sie finanziell in der Lage sind, einen längeren Zeitraum ohne BU-Leistungen zu überbrücken und das Kostenrisiko tragen können (z.B. durch Rechtsschutzversicherung, Ersparnisse, andere Einkommensquellen).
Tendenz zum Vergleich: Bei akuten finanziellen Engpässen, wenn Sie dringend auf Zahlungen angewiesen sind oder kein Kostenrisiko eingehen können.
3. Persönliche Belastbarkeit
Tendenz zum Prozess: Wenn Sie psychisch belastbar sind und einen möglicherweise jahrelangen Rechtsstreit durchstehen können.
Tendenz zum Vergleich: Bei bereits hoher psychischer Belastung durch die Erkrankung oder wenn Sie einen schnellen Abschluss wünschen, um sich auf Ihre Genesung konzentrieren zu können.
4. Höhe des angebotenen Vergleichs
Tendenz zum Prozess: Wenn das Vergleichsangebot der Versicherung deutlich unter den Ihnen zustehenden Leistungen liegt und Ihre Erfolgsaussichten vor Gericht gut sind.
Tendenz zum Vergleich: Bei einem attraktiven Vergleichsangebot, das einen Großteil Ihrer Ansprüche abdeckt (z.B. 70-80% der vereinbarten Leistungen).
Expertentipp zur Entscheidungsfindung
Eine gute Faustformel lautet: Je höher die Erfolgsaussichten und je größer die Differenz zwischen dem Vergleichsangebot und dem vollen Anspruch, desto eher lohnt sich ein Prozess. Erstellen Sie eine persönliche Kosten-Nutzen-Analyse, die auch nicht-monetäre Faktoren wie psychische Belastung, Zeitaufwand und persönliche Prioritäten berücksichtigt.
5. Ablehnungsgrund der Versicherung
Tendenz zum Prozess: Bei unbegründeten Ablehnungen oder wenn die Versicherung den Grad der Berufsunfähigkeit bestreitet, obwohl ärztliche Atteste das Gegenteil belegen.
Tendenz zum Vergleich: Bei komplexen rechtlichen Fragen (z.B. Anzeigepflichtverletzungen mit unklarer Rechtslage) oder wenn die Ablehnungsgründe teilweise berechtigt erscheinen.
Fallbeispiele aus der Praxis: Wann hat sich eine Klage gelohnt?
Um die Entscheidung zwischen Vergleich und Prozess anschaulicher zu machen, stelle ich Ihnen drei anonymisierte Fallbeispiele aus meiner Praxis vor:
Fall 1: Der erfolgreiche Prozess
Ein 52-jähriger Bauingenieur litt unter einer fortschreitenden Netzhauterkrankung, die sein Sehvermögen stark einschränkte. Die BU-Versicherung lehnte die Leistung ab mit der Begründung, er könne mit entsprechenden Hilfsmitteln noch mindestens 50% arbeiten.
Die Beweislage war günstig: Ein Augenarzt attestierte ihm eine Sehfähigkeit, die für präzise Bauplanungen nicht mehr ausreichte. Das Vergleichsangebot der Versicherung lag bei nur 40% der vereinbarten Leistungen.
Entscheidung: Klage. Der gerichtlich bestellte Sachverständige bestätigte die Einschätzung des behandelnden Augenarztes. Das Gericht verurteilte die Versicherung zur Zahlung der vollen BU-Rente, rückwirkend und für die Zukunft.
Ergebnis: Die Klage hat sich gelohnt. Der Mandant erhielt nicht nur eine höhere monatliche Rente als im Vergleich angeboten, sondern auch eine erhebliche Nachzahlung für den Zeitraum seit Eintritt der Berufsunfähigkeit.
Fall 2: Der sinnvolle Vergleich
Eine 41-jährige Lehrerin litt unter einer schweren Depression mit Burnout-Syndrom. Die BU-Versicherung erkannte die psychische Erkrankung grundsätzlich an, schätzte den Grad der Berufsunfähigkeit jedoch auf nur 40%.
Die Beweislage war schwierig: Die Symptome waren subjektiv und schwer objektivierbar. Die Gutachten verschiedener Psychiater kamen zu unterschiedlichen Einschätzungen.
Entscheidung: Vergleich. Nach intensiven Verhandlungen bot die Versicherung 75% der vereinbarten BU-Rente sowie eine Nachzahlung für 12 Monate.
Ergebnis: Der Vergleich war hier die bessere Wahl. Die Mandantin erhielt schnell finanzielle Sicherheit und konnte sich auf ihre Genesung konzentrieren, ohne die zusätzliche Belastung eines Prozesses. Angesichts der schwierigen Beweislage war das Risiko eines vollständigen Prozessverlusts beträchtlich.
Fall 3: Der Vergleich nach Klageerhebung
Ein 38-jähriger Zahnarzt litt unter einem Handtremor, der ihm die präzise Arbeit am Patienten unmöglich machte. Die BU-Versicherung lehnte ab, weil sie der Meinung war, er könne noch administrative oder beratende Tätigkeiten ausüben.
Die Beweislage war mittelgut: Der Tremor war nachweisbar, aber die Versicherungsbedingungen enthielten eine abstrakte Verweisung.
Entscheidung: Zunächst Klage. Nach Bestellung eines gerichtlichen Sachverständigen, aber vor dessen Gutachten, bot die Versicherung einen Vergleich über 90% der vereinbarten Leistungen an.
Ergebnis: Die Kombination aus Klage und späterem Vergleich erwies sich als optimal. Die Versicherung nahm die Klage ernst und erhöhte ihr Angebot erheblich, um das Risiko eines vollständigen Prozessverlusts zu vermeiden.
Was diese Fälle zeigen
Die Fallbeispiele verdeutlichen, dass es keine pauschale Antwort auf die Frage gibt, ob sich eine Klage lohnt. Die Entscheidung hängt von der individuellen Situation ab. Oft ist auch die Einreichung einer Klage mit dem Ziel eines späteren, verbesserten Vergleichs eine sinnvolle Strategie.
Die richtige Vorbereitung – egal für welchen Weg Sie sich entscheiden
Ob Sie sich für einen Vergleich oder einen Prozess entscheiden – eine gründliche Vorbereitung ist in beiden Fällen entscheidend für den Erfolg:
1. Medizinische Dokumentation zusammenstellen
Sammeln Sie alle relevanten medizinischen Unterlagen:
- Arztberichte und Befunde
- Atteste zur Berufsunfähigkeit
- Krankenhausberichte
- Bildgebende Diagnostik (MRT, CT, Röntgen)
- Therapieberichte
- Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
2. Behandelnde Ärzte einbeziehen
Sprechen Sie mit Ihren behandelnden Ärzten über Ihre Situation. Bitten Sie um detaillierte Berichte zur Berufsunfähigkeit, die speziell auf Ihre beruflichen Anforderungen eingehen. Ein engagierter Arzt kann einen entscheidenden Beitrag leisten.
3. Berufliche Anforderungen dokumentieren
Erstellen Sie eine detaillierte Beschreibung Ihrer beruflichen Tätigkeiten und der damit verbundenen körperlichen und psychischen Anforderungen. Dies hilft, den Zusammenhang zwischen Ihren gesundheitlichen Einschränkungen und der Berufsunfähigkeit zu verdeutlichen.
Praxis-Tipp zur Dokumentation
Führen Sie ein Beschwerdetagebuch, in dem Sie Ihre gesundheitlichen Einschränkungen im Alltag und insbesondere in Bezug auf Ihre berufliche Tätigkeit festhalten. Solche konkreten Dokumentationen sind oft überzeugender als allgemeine Aussagen und können als Gedächtnisstütze dienen, wenn Sie Ihre Situation später schildern müssen.
4. Versicherungsunterlagen prüfen
Prüfen Sie sorgfältig Ihre Versicherungsunterlagen:
- Versicherungspolice
- Versicherungsbedingungen (insbesondere die Definition der Berufsunfähigkeit)
- Antrag und Gesundheitsfragen
- Schriftwechsel mit der Versicherung
5. Rechtliche Beratung einholen
Konsultieren Sie einen auf Versicherungsrecht spezialisierten Anwalt. Eine fundierte rechtliche Beratung ist entscheidend, um Ihre Erfolgsaussichten realistisch einschätzen zu können und die für Sie beste Strategie zu entwickeln.
Fazit: Der beste Weg für Ihren individuellen Fall
Die Frage, ob sich eine Klage gegen die BU-Versicherung lohnt oder ein Vergleich die bessere Option ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Die Entscheidung hängt von zahlreichen individuellen Faktoren ab:
- Ihren medizinischen Befunden und deren Eindeutigkeit
- Den Versicherungsbedingungen
- Dem Ablehnungsgrund der Versicherung
- Ihrer finanziellen Situation
- Ihrer persönlichen Belastbarkeit
- Der Höhe des angebotenen Vergleichs
Grundsätzlich gilt: Eine Klage lohnt sich besonders dann, wenn:
- Die Beweislage gut ist und Ihre Berufsunfähigkeit objektiv nachweisbar
- Das Vergleichsangebot deutlich unter Ihren berechtigten Ansprüchen liegt
- Sie finanziell und psychisch in der Lage sind, einen längeren Rechtsstreit durchzustehen
- Sie eine Rechtsschutzversicherung haben, die das Kostenrisiko abdeckt
Ein Vergleich kann hingegen sinnvoller sein, wenn:
- Die Beweislage schwierig oder unklar ist
- Sie dringend auf finanzielle Mittel angewiesen sind
- Das Vergleichsangebot attraktiv ist und einen Großteil Ihrer Ansprüche abdeckt
- Sie weitere psychische Belastungen durch einen langwierigen Rechtsstreit vermeiden möchten
Die dritte Option: Erst klagen, dann vergleichen
Es gibt auch einen Mittelweg: Sie können zunächst Klage einreichen, um Ihre Ernsthaftigkeit zu demonstrieren und die Verhandlungsposition zu verbessern. Nach Bestellung eines gerichtlichen Sachverständigen – aber vor dessen Gutachten – sind Versicherungen oft zu besseren Vergleichen bereit. Diese Strategie kombiniert die Vorteile beider Ansätze: Sie signalisieren Entschlossenheit und können dennoch zu einer schnelleren Lösung kommen als durch einen vollständigen Prozess.
Meine Erfahrung als Anwalt im Versicherungsrecht zeigt: Es gibt keinen Königsweg, der für jeden passt. Die Entscheidung zwischen Vergleich und Prozess ist immer eine individuelle, die auf einer sorgfältigen Abwägung aller relevanten Faktoren basieren sollte.
Der wichtigste Rat, den ich Ihnen geben kann: Handeln Sie nicht überstürzt und lassen Sie sich kompetent beraten. Ein auf Versicherungsrecht spezialisierter Anwalt kann Ihre Situation analysieren und Ihnen helfen, die für Sie persönlich beste Entscheidung zu treffen – sei es ein Vergleich oder eine Klage.
Wenn Sie unsicher sind, ob sich in Ihrem Fall eine Klage lohnt, stehen wir Ihnen gerne für eine kostenlose Erstberatung zur Verfügung. Gemeinsam finden wir den besten Weg, Ihre berechtigten Ansprüche gegenüber der Berufsunfähigkeitsversicherung durchzusetzen.